Warum mich immer noch "Gräben" beschäftige? Es ist die Ergiebigkeit des Themas für mich als Mediatorin, als Coach und, davon ausgehend, die persönliche Betroffenheit, die ein hohes Maß an Selbsterkenntnis beinhaltet. Was ich in den letzten Tagen an mir beobachten durfte, macht mich ein Stück verständiger für das, was zwischen Menschen passiert, wenn sie einander nicht mehr verstehen können. Ein Umstand für den ich dankbar bin, auch wenn sich dabei mein Selbstbild gravierend verändert hat...
Über manches lässt es sich leicht reden, solange man nicht selbst davon betroffen ist. Angst beispielsweise, oder nebulose Vorbehalte den Mitmenschen gegenüber. Wird jedoch die Ratio genau von diesen diffusen Zuständen vernebelt, ist es nicht mehr so einfach, wie es einem der Verstand anscheinend vormachen will. Man vertraut ihm nicht mehr, sagt einem der Bauch doch ganz etwas anderes.
Ich gestehe, ich bin kein ängstlicher Mensch. Ich habe weder Angst vor Spinnen, noch vor Situationen, in denen ich mit Gesichtsverlust rechnen muss. Wovor ich mich jedoch fast zu Tode fürchte, sind Machtverhältnisse, die sich gegen mich richten. Autorität, die sich erdreistet, mich in meiner Freiheit zu beschneiden und jedes Zuwiderhandeln auf das Strengste sanktioniert. Dank meiner morbiden Fantasie, dem Wissen um historische Gegebenheiten und meinen Beobachtungen selbst organisierter Systeme, glitt mein Verstand ab und fand sich verständnislos ein einem Strudel von Existenzängsten wieder. Misstrauisch, wie selten zuvor, beobachtete ich meine Umgebung, immer auf der Suche nach potenziellen Aufmarschierern, Steinewerfer, hinter allem und jeden das (FÜR MICH) Böse vermutend. Ein untragbarer Zustand, der mich und mein Verständnis von einem gelingenden Miteinander auf eine harte Probe stellte.
Es sollte so sein, dass ich am Tag der Wahl genau auf einen traf, der all diese Ängste in mir bediente. Wir kennen uns seit Jahren, seit unserer Jugend. Wir waren nie auf der gleichen Seite - alles trennte uns. Ausbildung, Musikgeschmack, Haltung - ich dachte, es gäbe nichts, was uns verbindet. Im Gegenteil - in meiner Vorstellung war er einer von jenen, die durchaus bereit wären, mehr für ihren "Führer" zu tun, als es menschlich gesehen, angemessen wäre. In meiner Vorstellung, wohlgemerkt, die durch Angst befeuert, diesen Menschen um mein Leben trachten ließ. Wir nickten einander zu, miteinander gesprochen hatten wir eigentlich noch nie. Ich hielt meine Tochter an der Hand, fester als sonst und dann sah ich sie. Die Tochter, an der Hand des Mannes, dem ich alles zugetraut hätte, außer eine Tochter, die noch dazu meine Tochter kannte.
Die Mädchen begrüßten sich, völlig unbeeindruckt von dem, was rund um sie geschah. Sie zogen uns hinter sich her, um besser miteinander plaudern zu können und wir, wir kamen uns näher. Dann ließen sie unsere Hände los um miteinander "Kinderkram" zu machen. Wir standen einander gegenüber, näher als jemals zuvor und das Bild, das ich kurz zuvor noch vor mir her trug, wurde immer undeutlicher. Da stand er nun. Ein Vater, der das angerotzte Taschentuch seiner Tochter noch immer in der Hand behielt, weil er wusste, dass er es in fünf Minuten wieder brauchen würde. Wie ich. Wir tauschten keine Höflichkeiten aus, wir unterhielten uns kurz darüber, woher sich unsere Kinder kannten. Ich kannte die Mutter, die sich von ihm trennte, als seine Tochter noch klein war. Ohne es zu wollen wurde es schneller persönlich, als es uns beiden lieb war. Er sei traurig, dass seine Prinzessin nicht öfter bei ihm sei, meinte er beiläufig. Mein Bild vom Steine werfenden Raufbold löste sich dabei in Luft auf.
Ich habe die letzten Tage oft über diese Situation nachgedacht. Ich bin nicht naiv, ich weiß, wozu Menschen in der Lage sein können. Und Gleichzeitig, das sagt mir mein Verstand, sind wir noch lange nicht dort, wo Steine Schaufenster zertrümmern und Menschen öffentlich und, gesellschaftlich toleriert, gedemütigt werden. Es geht um Versöhnung, wollen wir diese Situationen nicht erleben - sie uns ständig vor Augen zu halten, scheint der Einigung abträglich. Wenn ich jetzt konkret an diese Person denke, stelle ich ihn mir als den Vater vor, der das Taschentuch seiner Tochter vorsorglich in Händen hält. Ich sehe nicht mehr den Faschisten, der er auch ist, sondern in erster Linie den Menschen, mit dem ich reden kann. Den ich verstehe ihn, wenn er von seiner Prinzessin spricht. Ihn, den Menschen, den Vater, mit dem ich vielleicht mehr gemein habe, als es mir meine Angst vormachen will!
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