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Blogmas Tag 9: Wunschbaum
Ich bin näher dran, obdachlos zu werden, als eine kleine Wohnung anzahlen zu können. Das ist eine Einsicht, der sich immer mehr Menschen bewusst werden. Arm zu sein scheint momentan ein Massenphänomen zu sein. Soziale Netze halten den Absturz schon länger nicht mehr auf und ist man erst am Boden der von Armut geplagten Realität angelangt, wird es erst recht schwer, wieder auf die Füße zu kommen.
Arm zu sein hat viele Gründe. Die wenigsten haben etwas mit „Faulheit“ zu tun. Egal wie viel du tust, am Ende reicht es doch nicht. Nicht für Wohlstand! Und nicht mal für das Nötigste! Damit schlagen wir uns rum. Mit dem „sich das Nötigste leisten zu können“. Arbeit wird oft genug nicht gut genug bezahlt. Und wieder: nicht um sich ein wenig Luxus zu gönnen. Es reicht nicht, um am Ende des Monats in den Supermarkt gehen zu können, ohne ständig mitzurechnen, wieviel der Einkauf ausmacht und ob das Nötige vom noch Übrigen gedeckt wird.
„Alle müssen sparen!“ höre ich und ich weiß, dass das nicht stimmt. Viele müssen sparen. Wieder viele haben nicht mal genug, um sparen zu können. Und der privilegierte Rest musste es noch nie. Das ist soziale Ungerechtigkeit, die dir bereits bei der Geburt in die Wiege gelegt wurde. Sozialer Aufstieg war immer schon schwierig, je weiter die Wohlstandsschere jedoch auseinander geht, umso unmöglicher wird die Verbesserung, die man eigentlich verdienen sollte, wären Löhne und Mietkosten gleichermaßen gestiegen.
„Aber anderen geht es ja noch schlechter!“ höre ich als Rechtfertigung für eine bodenlose Ungerechtigkeit, die wir einem System zu verdanken haben, das ausschließlich die belohnt, die ohnehin genug haben. Ich weiß, wie es ist, hat man genug! Ich weiß aber auch, wie schnell man nichts mehr hat. Wie schnell man zu wenig für ein Leben hat, das für andere selbstverständlich ist. Dass es mich aufrichten soll, dass es anderen noch schlechter geht, ist zynisch. Also drehe ich mich weg und schäme mich im Verborgenen. Schließlich haben wir gelernt, dass wir an unserer Armut selbst schuld sind. Hätten wir uns nur eine Wohnung gekauft. Uns früh genug darum gekümmert, genug zu haben, wenn es mal knapp wird. Hätten wir nur nie versagt, wären wir nie krank geworden, wären wir doch nur in einer reichen Familie auf die Welt gekommen. Wie leicht wäre das Leben, wären wir nicht arm!
Ich hab mir gestern die Wünsche auf dem Wunschbaum angeschaut. Menschen, die es sich leisten können, unterstützen mit dem Erfüllen des Wunsches Menschen, die es eben nicht schaffen, sich neue Bettwäsche zu kaufen. Eine Winterjacke oder gute Schuhe, mit denen die Füße warm und trocken bleiben. So können die, die noch was haben, sich privilegiert fühlen, indem sie das Nötigste bereitstellen. Anstatt für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der das Nötigste vorhanden und leistbar ist. Ein Event der Armut, um den Unterschied vor Weihnachten noch einmal klarzumachen. Um sich besser zu fühlen, sieht man, dass es anderen noch schlechter geht.
Wir leben in einem reichen Land. So sagt man. Nur ist es nicht das Land, das reich ist. Sondern Menschen, die genug für alle hätten, hätten sie ihren Reichtum nicht für sich allein. Würden sie nicht weiter Profit aus ihrem Besitz schlagen, zu Lasten jener, die sich die eigene Unterkunft nicht mehr leisten können.
Ich habe es satt, arm zu sein. Ich habe es aber noch mehr satt, mich dafür zu schämen. Schämen sollten sich die, die nach einer Umverteilung noch immer mehr als genug hätten. Aber statt sozialen Frieden gönnt man dem Spendentopf zweihundert Euro und drei Wünsche vom Wunschbaum.
Man muss Armut nicht feiern, um sie zu lindern. Man muss sie endlich ernst nehmen, als das, was sie ist: Ein Angriff auf die Menschenwürde. Täglich. Auch zu Weihnachten.






