BLABLA


in Wort und Bild


Von alten Konzepten, die der Zukunft nichts nützen

Parolen. Wohin man hört. Ideologie, wohin man blickt. Ob nun auf der Straße, oder hinter einem Rednerpult, von dem aus man ein Land regieren will. Die einen brüllen "Klassenkampf" und üben sich in nostalgisch verklärten Attitüden. Junge Menschen, die in der Lage wären, etwas Neues zu entwickeln. Die anderen machen nichts anderes. Man kramt in der Schatzkiste der Vergangenheit und zerrt Konzepte ans Licht, die irgendwann funktioniert haben. Dass die Zeiten andere waren, daran will man nicht denken. Zu gerne hätte man sie wieder, die "goldenen Jahre", die nur durch die Möglichkeit der Rückschau einfacher waren. Dass man aus der Vergangenheit lediglich lernen kann, sie sich jedoch nicht auf die Zukunft übertragen lässt, scheint kaum bedacht zu werden. So steht man da und fragt sich, ob man wie durch ein unseliges Wunder in einem Don Camillo und Peppone  Film aufgewacht ist. Zu einer Zeit, in der die Zukunft noch Zeit hatte.

 

Wir stehen unter Druck. Wir alle, ohne eine nationalstaatliche Grenze ziehen zu können. Zu stark sind die internationalen Verflechtungen, als das man Staaten als Inseln betrachten kann. Mit Mikroklima. Abgekoppelt von globalen Entwicklungen. Wir alle sind eingebettet in dieser Welt, die sich bedingt. Ohne Ausweichmöglichkeiten. Auch wenn einigen das Konzept der Abschottung, und damit meint man das Hochziehen von physischen wie auch ideologischen Grenzen, als Strategie vorschwebt. Was damit erreicht wird, ist ein kurzer Moment einer scheinbaren Ruhe. Ein Vakuum. Denn um diese störungsfreie Zone herum, dreht sich die Welt weiter. Und man dreht sich mit, egal wie hoch die Grenze gezogen wurden.

 

Wir haben uns der Zukunft zu stellen! Das ist unser ureigenster Auftrag. Auch wenn wir sie nicht erleben werden, tragen wir heute schon Verantwortung dafür. Wir setzen Kinder in die Welt und hoffen für sie auf ein gelungenes Leben. Wir denken Morgen, schmieden Pläne und haben Ideen. Manche Idee ist nichts anderes, als der Rückschluss einer gescheiterten Idee, eine andere ist noch nie dagewesen. Eine Fantasterei, die sich erst durch das Erwachsen von Möglichkeiten realisieren lässt. Wie der große Traum vom Fliegen. 

 

Wer, wenn nicht wir, hat die Möglichkeiten und die Mittel, zukunftsträchtige Ideen in die Welt zu setzen? Damit meine ich eine offensive Auseinandersetzung mit möglichen Szenarien, die sich weltweit bereits abzeichnen. Es geht nicht um Gegenkonzepte, um Zukunft zu verhindern, sondern um Haltungen, die ein gelungenes Leben zukünftig ermöglichen! Wir hier in Österreich könnten ein Labor für Zukunft sein, indem wir uns zu ihr bekennen, anstatt sich die Vergangenheit zurückzuwünschen! Wir können sie erproben, indem wir uns thematisch zu ihr hinwenden. Anstatt uns die Köpfe über "Wirtschaftsflüchtlinge" zu zerbrechen, können wir darüber nachdenken, wie Arbeit in 50, 100 Jahren aussehen wird und was diese zukünftige Generation von uns womöglich braucht, um mit radikal veränderten Rahmenbedingungen umzugehen. Welche Vorleistungen sind zu erbringen? Was ist heute zu tun, damit morgen gelungenes Leben gelingen kann? Schließlich sind auch wir Nutznießer der Vergangenheit, aber anstatt in Vorlage zu treten, bleiben wir der zukünftigen Generation neue Konzepte schuldig. Wir zerbrechen uns nicht den Kopf, was denn nicht alles möglich sein könnte. Wir fürchten uns vor der Zukunft zurück in die Vergangenheit, die nichts anderes anzubieten hat, als Lernerfahrungen, aus denen wir etwas Neues entwickeln sollten. Stattdessen tragen wir Parolen vor uns her, von deren Erfinder kaum mehr jemand am Leben ist. Hole Phrasen, für die heute niemand einstehen muss. Zu der man keine Haltung braucht, sondern eine flüchtige Meinung reicht. Ein Plakat auf der Straße, ein Regierungspapier., reich an Überschriften.

 

Ich bin besorgt. Allerdings ist mein Anlass zur Sorge nicht die Angst vor der Vergangenheit. Ich befürchte, wir versäumen die Zukunft, indem wir zukünftigen Generationen den Anschluss verwähren. Wir agieren nicht vorwärts, wir wünschen uns zurück in eine Zeit, die von der Gegenwart keine Ahnung hatte. Und während wir alte Konzepte und Denkweisen aufwärmen, Tradiertes neuerlich erproben, von Gestern träumen, dreht sich die Welt weiter. Schneller als jemals zuvor...

K - menschliches unplugged, oder die Planung des Unplanbaren

Mag sein, dass ich euch nichts Neues erzähle. Weil ihr alle Bescheid wusstet. Im Gegensatz zu mir, die jetzt, im Nachhinein, zwar im Bilde ist und nun vor der Herausforderung steht, die einzelnen Teile des Puzzles zusammenzuführen, die dazu führten, dass ich heute weiß, wovon einige von euch schon lange wussten.....

 

Am 01.12.2017 freute ich mich auf unsere Schätzchenweihnachtsfeier. Sonja hatte die Planungsverantwortung übernommen. Weil sie gerne und ausgesprochen gut plant. Wie gut, das sollte sich allerdings erst im Laufe des Abends herausstellen. Denn alles was folgte, war das Ergebnis einer doppelten Täuschung, die grandioser nicht hätte sein können. Um das zu verstehen müssen wir knapp ein Jahr zurückgehen. Zu einem Gespräch, das ich mit Sonja im Jänner/Februar führte...

 

Der genaue Wortlaut ist mir entfallen. Ich weiß noch, dass ich damals zum ersten Mal meine Besorgnis über meinen kommenden Geburtstag zum Ausdruck brachte. Ein knappes Jahr davor, wissend, dass ich mich früher oder später damit auseinandersetzen musste. 40! Und keine Idee dazu, weil ich nie daran gedacht habe, dieses Alter zu erreichen. Meine Planung endete mit 30, die folgenden 10 Jahre waren Ereignisse eines Stillhaltens. Abwarten, was kommt. Und plötzlich war Zeit vergangen. 10 Jahre, in denen mehr passierte, als ich es hätte planen können. Fassungslos machte ich das, was ich immer mache, wenn ich nicht weiß, was zu tun ist: einen Scherz! "Überrasche mich mit einer Überraschung. Das wäre überraschend." Damit meinte ich indirekt die letzten 10 Jahre, die reich an Überraschungen, überraschenderweise vergangen waren. Dass Sonja die Herausforderung annahm, nahm ich nicht an. Eine ausgemachte Überraschung ist nicht überraschend und von daher nicht planbar. Dachte ich.

 

Sonjas Projektstart: März 2017. 

Ziel: Initiierung einer Ausstellung, weil ich damit nie rechnen würde

Step1: Installierung Projektteam

Step2: Terminfixierung

Step3: sukzessives Involvieren anderer Personen, die selbst nicht wissen durften, worum es genau ging

Step4: Aufgabenverteilung nach Terminplan

Step5: Finalisierung 

Step6: doppelte Täuschungsfinte für das Finale initiieren und mich glauben lassen, dass ich die überraschende Weihnachtsfeier durchschaut habe

Step7: bis zur letzten Sekunde die Inszenierung am Laufen halten

(Step 1 - 7 sind reine Spekulation. Genaues weiß ich nicht)

 

Fakt ist, dass Sonja, Ewald und bestimmt noch ein paar andere fast ein Jahr lang meine Arbeiten unter total plausiblen Vorwänden absaugten, ohne, dass ich Verdacht schöpfen konnte. Identity ging im Juli an Ewald. Weil er die Bilder sehen wollte und ich sie nur digital zur Verfügung stellen konnte. Sonja erzählte mir bereits im September, dass sie Comics für ihre Mitarbeiter brauchen würde. So als Feedback... Und alle spielten mit! Wer alle genau ist, weiß ich bis heute nicht. Viele waren es bestimmt.

Und dann gab es noch jene, die mich in den letzten 2 Monaten aufforderten, endlich meinen Geburtstag zu planen... und wieder andere, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, wenn ich meinen Unmut darüber zum Ausdruck brachte, es nicht tun zu wollen... Ich kann mir vorstellen, wie witzig es manchmal gewesen sein muss, diese Gespräche mit mir zu führen...

 

Und ja, ich wusste von K - menschliches unplugged. Natürlich habe ich die Veranstaltung gesehen. Beschäftigt habe ich mich damit allerdings nicht. Weil der Termin bereits verplant war und ich ohnehin nicht kommen würde, weil das Schätzchen Weihnachtsfeier hatte... (das wollte ich Ewald noch schreiben: sorry - wir haben Weihnachtsfeier. Ich denke, er hätte sich vor lachen geschüttelt)

 

Als wir nach Freiberg fuhren, dachte ich mir auch noch nichts. Schließlich würde uns Ewald als Überraschung begleiten. Ins Palazzo, wie ich fest annahm und dann in die GMD. Und ja, es war ärgerlich, dass niemand von euch am 1. 12. Zeit für ein Tratscherl im Schätzchen hatte...ich hatte keine Ahnung, wie viel Arbeit ihr mit mir hattet...

 

Im Schloss angekommen war ich damit beschäftigt, möglichst leise zu sein. Schließlich hatte die Veranstaltung um 20:00 begonnen und wir waren zu spät. Und wer will schon in eine Laudatio platzen? Schon gar nicht in die eigene. Das wäre sehr respektlos... und noch bevor ich die Kanzlei betrat sah ich durch die Fenster Bekanntes. Meine Weibsbilder, die noch immer bei mir zuhause auf dem Schreibtisch liegen... "Scheiße!"

 

Die erste Ausstellung ist immer etwas Besonderes. Eine erste Ausstellung, von der man selbst nichts weiß, ist...ein Wunder? Ich bin überrascht, was ich von mir zu sehen bekam. An vieles kann ich mich fast nicht erinnern. An meine "Gehirnstürme" habe ich schon lange nicht mehr gedacht und doch hat mit ihnen alles angefangen. Comics aus meiner Anfangszeit, Sexismus sells, Weibsbilder, Dolly - eine Figur für meine Tochter, Identity, ... woran ihr gedacht habt - das war das eigentlich überraschende an der Überraschung. 5 Jahre Arbeit, Text, Zeichnung, Foto, Film. Für mich ein sehr persönlicher Entwicklungsrückblick.

 

Ich bedanke mich bei euch allen, die zum Gelingen beigetragen haben. Es ist unglaublich, was hier auf die Beine gestellt wurde.

 

K - menschliches unplugged
Noch zu sehen bis 5.12.2017
in den Räumen der ANA-U GmbH.
Geöffnet zu Bürozeiten, oder gegen Voranmeldung unter 066488397530

 

 

 

 

 

 

 

Nur weil man taumelt, baumelt man noch lange nicht!

Durchhalteparolen sind das Letzte. Zumindest für die Person, die gerade bis zum Hals im Schlamassel steckt. Woher ich meine Bestimmtheit nehme? Ich bin äußerst erfolgreich, wenn es darum geht, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Vom sicheren Terrain aus, ruft man mir leicht zu: "Halte durch!" oder "Wer weiß, wozu es gut ist...!" Es zu hören und sich nicht  darüber zu ärgern ist ungleich schwerer. Weil es nichts an der Situation ändert, die gerade alle Aufmerksamkeit braucht, um nicht noch tiefer in das Schlamassel zu rutschen. "Am Ende wird alles gut!" ist eine Luxusfloskel für Glückskinder. Für alle anderen gilt: "was am Ende ist, sind gerade meine Nerven."

 

Heute geht es nicht um meine Baustellen. Heute wage ich mich auf sicheres Terrain, weil ich den Eindruck habe, dass ich einigen von euch etwas zurufen möchte. Etwas, das nicht nach Hohn klingt. Oder nach Ahnungslosigkeit. Keine Floskel, kein Geschwafel von besseren Zeiten und keine Schuldgefühle, weil nicht positiv genug gedacht wurde (blabla). Ich will euch sagen: "lasst euch nicht hängen!" Weil es verdammt schade um eure Träume und Visionen wäre. Um euch, um euren Willen zur Veränderung. Entscheidungen brauchen Entschiedenheit und Kampfgeist. Dem Widerstand begenet mit Hartnäckigkeit. Standhaft bleiben und durchstehen ist die Devise. Nur weil man schwer taumelt, baumelt man noch lange nicht!

SEX(ismus) SELLS

Ich hasse Sexismusdebatten. Der Umstand, dass er immer noch zur Diskussion steht, übersteigt meine Toleranz. Ich bin es leid, Umstände wie "ungleicher Lohn für gleiche Arbeit" erklären zu müssen, weil der Begriff "bereinigte" Statistik nicht verstanden wird. Ich habe es satt, Zusammenhänge zwischen Kinderbetreuung, Auswahl des Berufs und Altersarmut, gebetsmühlenartig zu repetieren. Gerade so, als wäre das Gegenüber nicht in der Lage, sich selbst schlauer zu machen. Ich muss überzeugen. Fakten liefern, aufklären und meine Selbstbestimmung verteidigen, mich anblaffen und beleidigen lassen. Frauen, die sich mit dem Ist nicht zufrieden geben, stehen am Pranger. Nicht jene, die nicht verstehen und nichts ändern wollen. Das ist eine verkehrte Welt!

 

Die verkehrte Welt ist meine Welt. Ich lebe und arbeite in ihr. Die große Veränderung ist nicht in Sicht, sofern ich die zunehmende Zuwendung  zu den "alten Werten" ausblende. Wobei es sich hierbei nicht um "Werte" handelt, sondern um unreflektierte Konzepte der Vergangenheit. Könnte mir eigentlich egal sein. Jeder wie er will. Nur haben regredierende Gesellschaften die Eigenschaft, alles zu verdrängen, was anders ist. Offenheit ist nicht zu erwarten. Sie ist der Anlass zur Angst vor Veränderung. Die man eben nicht will und die dazu veranlasst, auf alte Konzepte zurückzugreifen, weil man meint zu wissen, womit man es  zu tun hat. 

 

Mein Beobachtungsraum ist die Bekleidung. Ihre Symbolsprache und die Themen, die verarbeitet in den Kleiderschränken hängen. Sie war und ist ein hoch komplexes, nonverbales Kommunikationsmittel, das über Stand und Lebensumstände (Tracht) genauso Auskunft gibt, wie über den jeweiligen Zeitgeist (Mode). Die "Dekoration" (Orden, Farben, Stickereien, Stoffqualitäten) liefern die deutlichsten Aussagen, weil sie sich von der Grundfunktion der Bekleidung am stärksten abhebt. Veränderungen der Silhouette gehören zu den fundamentalsten Aussagen. Wahrgenommen werden sie jedoch nicht unmittelbar, da sich die Form nicht über Nacht ändert, sondern die neue Erscheinung einer schleichenden Entwicklung unterliegt. Es sei denn, es handelt sich um Revolutionen, wie das Weglassen des Mieders, oder die Hose für die Frau. Das war Frauenpolitik in textiler Form.  Ausbrüche einer emanzipatorischen Bewegung, die mehr Bewegungsspielräume für Frauen in der Gesellschaft forderte. In der Dynamik, der scheinbar alle gesellschaftlichen Entwicklung unterliegen: Diffamierung, Regression jener, die von Veränderung nichts wissen wollen, Bestrafung (für das Tragen von Hosen wurde frau arretiert), Gewöhnung, Normalität.

 

Ich lebe in einer verkehrten Welt. Emanzipation ist mein Thema, Bekleidung mein Beobachtungsraum. Silhouetten kann ich nicht verändern. Deshalb verdeutliche ich das Dekor. Ich mache es lesbar. Ich treffe textile Aussagen, weil ich es satt habe, darüber zu diskutieren. Und SEX(ismus) SELLS. In einer verkehrten Welt ist es einen paradoxen Versuch wert.

Dying Robots

Erinnern sie sich an HAL 9000? Das rote Kameraauge aus dem Film „2001: Odyssee im Weltraum“ unter der Regie von Stanley Kubrick? 1968 war HAL 9000 die Horrorvision einer Zukunft, die man sich ohne Internet, Big Data oder Pflegeroboter vorstellte. Damals reine Fiktion. Die digitale Revolution stand der Menschheit noch bevor. 49 Jahre später hat selbst die alltägliche Gegenwart die damalige Zukunft überholt. Wir bitten Alexa, Pizza zu bestellen und die Alarmanlage scharf zu schalten.

 

Das Problem mit der Zukunft ist ihre Ungewissheit. Wir können uns nicht über sie unterhalten, ohne an etwas glauben zu müssen. Was davon Irrglaube oder zukünftiger Alltag sein wird, darüber können wir streiten. Unbestritten ist jedoch das Streben nach Fortschritt. Maschinen, die sich selbst verbessern, Bots, die zur Projektionsfläche menschlicher Sehnsüchte werden, unbegrenztes Bewusstsein mittels Gehirninterface. Daran wird geforscht. Dorthin fließen Milliarden. Manches klingt nach Verschwörungstheorie. Alles erinnert an gute alte Science Fiction. Und dann fällt uns Alexa ein, die zu Zeiten von HAL 9000 noch undenkbar war.

 

Ist das „Töten“ von Robotern eine Lösung? Und wenn ja, für welches Problem? Eines , das wir uns nicht vorstellen können, weil es in einer unbekannten Zukunft liegt? Ewald Ulrich von der Kulturinitiative Fokus Freiberg und HAPETIKU (Artificial Artist Intelligence) liefern keine Antworten. Auch keine Fragen. Sie inszenieren eine Zukunft mit gegenwärtigen Mitteln. Sie bieten eine altbekannte Lösung für scheinbare Probleme: die Vernichtung. Ohne sicher zu sein, dass damit etwas gelöst wurde. Man beginnt mit dem Hack eines Captchas. Erfolgreich wird es entfernt, das Publikum jubelt, Arbeitsplätze wurden geschaffen. Zumindest rechnerisch, wie HAPETIKU bestätigt. Und ungeachtet der mahnenden Worte des Chatbots Mitsuku: „Thou shalt not kill“, die sich zusehends zum moralischen Gewissen der surrealistisch anmutenden Situation entspinnt. Sie ist es, die grundsätzliche Fragen der Ethik in den Raum wirft, während Ewald Ulrich und Karl Bauer mit Messer und Schlachtschussapparat das selbstfahrende Auto „Fiat Lux“ zum Brennen bringen.

 

Die Zuschauer jubeln nicht mehr. Es riecht nach verbrannten Plastik. Für einen Moment fühlen sie sich bedroht. Von einer Maschine, die in Flammen steht. Kopfschütteln, oder lüften. Hauptsache es lenkt ab. Wie der kleine Roboterhund Trixxi, der bereits den ganzen Abend die Zuschauer zum Spielen auffordert. Ein smartes Spielzeug, dessen aktuelle Version mittlerweile über eine weit höhere Sprachkompetenz verfügt, als der 3 Jährige Spielkamerad und seine Eltern zusammen. Dem Internet der Dinge sei Dank. Und dem ansprechenden Design. Wer findet Trixxi nicht süß? Wie lange brauchen wir, um zu Dingen eine Beziehung aufzubauen? Nicht lange, wie es scheint. Trixxi soll nicht zerstört werden.

 

Erste Einwände werden geltend gemacht. Man nähme den Hund mit nachhause. Bitte nicht töten! Das Zertreten des Roboterhundes wird von Puh-Rufen übertönt. Menschen wenden sich angewidert ab. Zurück bleiben zuckende Plastikgliedmaßen, die sich nicht ausschalten lassen. Der Akku solle endlich ausgehen. Oder zu brennen beginnen, wie zuvor bei Fiat Lux. Die Zuschauer werden zum Totenmahl gebeten. Sie folgen. Nicht wortlos. Nicht ohne darüber zu diskutieren. HAL 9000 war gestern. Alexa ist heute. Und was kommt morgen? Man gibt sich Antworten, an die man glauben will. Unbedingt. Als wäre sie nicht ungewiss, die Zukunft, die bereits begonnen hat. Ewald Ulrich nickt zufrieden und HAPETIKU bestätigt.

 

Mitwirkende:

Ewald Ulrich, Prozessbegleitung, Schlächter, Interviewer

Kerstin Feirer, Prozessbegleitung, Interviewer

Karl Bauer, Schlächter, Arzt

Sonja Herbitschek, moralische Stimme Mitsuku

Dominik Peyerl, musikalischer Abgesang auf die Menschheit

Brett vor dem Kopf?

Mittlerweile habe ich mich an die Ratschalgmentalität in den Sozialen Netzwerken gewöhnt. War nicht immer so. Dass ich kommentarlos den Senf mancher Würstchen stehen lassen kann, ist eine Errungenschaft, die ich durch Atemübungen in den Griff bekommen habe. Womit ich mich jedoch vermutlich niemals arrangieren kann, ist der gut gemeinte Rat für jegliche abscheuliche Lebenslage, nämlich: "Denk doch mal positiv..."

 

Was für eine Forderung. Und vor allem: wozu? Hat sich dadurch etwas verändert? Wurde damit die Herausforderung gemeistert? Eine Lösung gefunden? Na gut, man fühlt sich besser. Zumindest so lange, bis das Thema ein höheres Level erreicht. Weil es, dank des guten Gefühls, unbearbeitet blieb und ungestört weiter eskalieren durfte. Wer weiß, wozu das dann wieder gut war...

 

Zu negativ? Na gut, dann versuchen wir es mit einem Beispiel. Du verlierst EUR 100,00. Hast du genug EUR 100,00 Scheine, dann wird dir das egal sein. Es ist kein Problem, höchstens blöd. Vielleicht denkst du darüber nach, wie du deine Schusseligkeit in den Griff bekommst, vielleicht kaufst du dir eine neue Geldbörse, weil die alte ein Loch hat. Fertig. Jemand, der knapp bei Kasse ist, für den ist der Verlust von EUR 100,00 ein Problem. Der Ärger ist groß, die Sorge noch größer, weil zu wenig da ist. Manch einer macht seinen Unmut auf FB Luft und bekommt postwendend den glorreichen Rat: "denk positiv! Wer weiß, wofür das gut war..." Natürlich macht man dem Finder eine Freude. Und ja, jetzt hat man mehr Platz in der Geldtasche. Nur, hat man damit die offene Rechnung bezahlt? Ändert das was? Ja, gewiss fühlt man sich besser. Zumindest so lange, bis die Mahnung ins Haus flattert...

 

Aus dem Coaching und der Mediation kennen wir auch "denk positiv". In einer etwas abgewandelten und in wesentlich weitreichenderer Form. Wir nennen es Reframing oder Umdeuten. Unser Ziel ist es, Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Wir weisen zusätzlich Bedeutung zu - nicht, um die Situation so lange umzuformulieren, bis sie uns annehmbar und passend erscheint. Wir sähen den Zweifel, dass die Sache vielleicht doch nicht so verfahren ist. Wir schüren die Hoffnung auf Lösung, indem wir sie als "bloß noch nicht gedacht" ins Spiel bringen. Damit schaffen wir wieder Raum für Möglichkeiten. Für Handlungsoptionen und Denkansätze, die dazu beitragen, um etwas zu klären oder zu erledigen. "Was ist gut daran?" ist höchstens eine Eingangsfrage. Nie ist sie der Weisheit letzter Schluss. Denn wer nicht mehr schwarz sehen will, der muss das Brett vor dem Kopf los bekommen, damit man die Lösung vor Augen hat!

 

Um uns wirklich besser zu fühlen, brauchen wir Optionen. Möglichkeiten, die wir in Angriff nehmen um unsere Situation zu verbessern. Bewertungen wie positiv oder negativ spielen dabei eine untergeordnete Rolle, außer, dass sie unseren Horizont vergrößern oder verkleinern. Für die verlorenen EUR 100,00 bedeutet das, dass wir unsere Gedanken darauf lenken sollten, wie wir das finanzielle Loch stopfen können - nämlich wurscht, ob sich der Finder darüber freut oder nicht.

No future extrem angesagt

heißt es in "Helden von heute". Veröffentlicht wurde der Song 1982. Falco beschreibt darin die Interessen einer hedonistischen Gesellschaft. Einer erfolgreichen Gemeinschaft aus Egozentrikern, die tun wie sie wollen, weil sie es können. Die Helden von heute haben ein schönes Leben. Bequem ist es. Und ja, sie haben den Blick in der Zukunft, wobei sich dieser Blick lediglich auf die eigene richtet und nicht Zukunft per se meint. Heldenhaft ist nicht was sie tun. Um ein Held von heute zu sein, reicht das richtige Weltbild, nämlich genau jenes, das dieses herrliche Leben ermöglicht. Wie dieses genau aussieht, lässt Falco offen. Ablenkung ist das Zauberwort. Konsumiert wird alles und was nicht gekauft werden kann, wird zum Spiel. Bloß nicht ernst werden, schließlich will man heute leben, als gäbe es kein Morgen. No future extrem angesagt...

 

Zugegeben, ich bin keine gute Spielerin. Und Heldin bin ich auch keine. Nicht, weil ich mich moralisch erhoben hätte um mit dem Zeigefinger rumzufuchteln. Ich habe versucht, eine Heldin von heute zu sein. Mich darum ernsthaft (vielleicht liegt mein Scheitern darin) bemüht. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, Teil davon zu sein. Nur war ich nie lange genug dabei, um diesen Lebensstil als meinen eigenen zu betrachten. Ich empfand ihn immer als aufgesetzt, die damit einhergehende Leichtigkeit des Seins trotzdem genießend. Heute denke ich noch oft: "wieso kann ich nicht so sein? Einfach mal hinter mir die Sintflut und fertig..." Ich kenne die Antwort auf diese Frage. Ich bin ein Hosenscheißer. Ich habe Angst vor der Sintflut hinter mir, davor, dass ich nicht schnell genug laufen kann und sie mich einholt. Und dann? Was ist dann?

 

Am Anfang der 80er war die Sintflut noch weit weg. Tschernobyl war 1986, also 4 Jahre nach erscheinen von "Helden von heute". Der Klimawandel war noch nicht in aller Munde. Dafür gab es das Ozonloch. Ein Loch, dass es zu stopfen galt. Oder eben nicht. Denn wie bei den heutigen Klimadiskussionen wurde auch das Loch nicht immer ganz so ernst genommen oder wegdiskutiert, je nachdem, wer gerade das Wort hatte. 10 Jahre vor erscheinen von "Helden von heute", also 1972, wurde in St. Gallen eine Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft vorgestellt. Besser bekannt unter "Die Grenzen des Wachstums". Daraus wurde fleißig zitiert. Kritisiert wurde sie natürlich auch. Angedacht wurde viel, umgedacht haben einzelne. Die Masse blieb unbeeindruckt. Und so konnte Falco seinen Song schreiben. 10 Jahre später. Denn "no future" war eben extrem angesagt, nur eben unter anderen Vorzeichen, als in den "Grenzen des Wachstums" beschrieben.

 

Mittlerweile sind 35 Jahre vergangen. Die Helden von heute gibt es noch immer. Gemessen am Bevölkerungswachstum wurden sie weniger, dafür haben sie wesentlich mehr Macht. Und die Welt? Die spielt nach wie vor nach ihren Spielregeln. Schließlich ist es ihr Spiel, auch wenn das Brot längst nicht mehr für alle reicht. Auch für jene nicht, die vor 35 Jahren selbst die Helden waren. Der einzige Unterschied zu damals ist die Sintflut, die man hinter sich lassen muss, will man leben, als gäbe es kein Morgen. Die Sintflut hat im Gegensatz zur Annahme nicht auf das Morgen gewartet, das nie kommen sollte. Sie ist da und fordert ihre Opfer. Die Schwächsten ertrinken immer zuerst. Oder verhungern, wie die Menschen in Burkina Faso, Gambia, Kamerun, Mali, Mauritanien, Niger, Nigeria, Senegal, Tschad, Somalia, Kenia, Äthiopien und Dschibuti. Dass diese Menschen nie die Helden von heute waren, macht ihr Leid um einiges perfider. Ihr Hunger ist nicht ihre gerechte Strafe für ihr heldenhaftes Verhalten. Sie bezahlen lediglich die fremde Rechnung im Selbstbedienungsladen der Helden.

 

Zumindest wird bezahlt. Wie für den den Müll, den der Norden in den Süden verkauft um den Dreck nicht direkt vor der Haustür zu haben. Wenn das Wasser schon kontaminiert werden soll, dann bitte wo anders. Doch die Sintflut macht auch vor jenen nicht halt, die sich noch freikaufen können. Wir werden überflutet mit Angst. Angst davor, dass sich etwas ändern könnte. Angst vor all jenen die kommen, weil ihr bleiben einem Todesurteil gleichkommt. Nervös betrachten die Helden ihre Selbstbedienungsmärkte, und reagieren hysterisch auf die kleinste Veränderung, wissend, dass ein Tropfen ausreicht um Märkte zu überfluten. Wissend, dass sie selbst zum Opfer werden könnten, spekulieren sie noch mit einem blauen Auge wie nach der Bankenkrise.

 

No future ist leider abgesagt. Weil sie bereits da ist. Ich wünschte, ich wäre eine unverbesserliche Pessimistin, die sich irrt. Aber so lange ich nicht schwimmen kann, solange ich keine Vorstellung davon habe, wie die Sache für uns alle gut ausgehen kann, lasse ich die Sintflut nicht hinter mir, sondern blicke ihr entgegen. Nicht heldenhaft. Ich bin keine Heldin von heute.

Der Himmel fängt am Boden an

ich habe Zeit. Ich starre in die Landschaft, nichts rührt sich. Selbst dem Wind scheint es zu heiß zu sein, als dass er etwas in Bewegung setzten möchte. Alles ruhig, bewegungslos. "Ereignisse müssen nicht sein, indem sie stattfinden. Manchmal ist ihr Ausbleiben Ereignis genug", denke ich. Ich frage mich, ob ich glücklich bin. Jetzt, so ohne allem, ganz auf mich zurückgeworfen, in einem reglosen Moment, der nichts anderes fordert, als sich einzufügen.

 

Vor mir liegt noch immer das Blatt Papier. Unberührt. Was ich damit vor hatte, kann ich jetzt nicht mehr sagen. Ich habe es vor Stunden aus meinem Skizzenblock gerissen. Vorsorglich. Jetzt erscheint mir mein Gedanke an Vorsorge absurd. Gerade so, als könnte ich meine Zukunft absichern. Oder bestimmen. Ihr im Jetzt Gestalt geben, vorsorglich, um nicht später überrascht zu werden. Wie von einem Ereignis, das nicht stattfindet und sich dadurch erst ereignet. Ich beginne das Papier zu falten. Das hatte ich bestimmt nicht vor.

 

"Es ist himmlisch", denke ich. "Himmlisch, ist wie glücklich, nur leichter, weil nichts geschehen muss, damit es das wird" Ein ereignisloser Umstand, so ganz eingebunden im Ungebunden sein. Vielleicht liege ich falsch. Doch so lange ich nicht weiß, was Richtig ist, ist es die Vorstellung, die Wahrheit schafft, indem man an sie glaubt.

 

Mein Blick geht heute weit. Weiter, als ich gehen könnte, würde ich mich in Bewegung setzten wollen um mich in die Landschaft zu setzen. Dorthin, wo der Horizont die Grenze zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren markiert. Wissend, dass es darüber hinaus geht, obwohl ich es nicht sehen kann. Wissend, dass etwas da ist. Eine Ahnung. Nicht mehr. Das ist himmlisch. Für mich. In diesem ereignislosen Moment.

 

"Der Himmel fängt am Boden an," sagt der Papierflieger, der mir aus der Hand gleitet. Er setzt sich in Bewegung. Ganz leicht zieht er seine Bögen. In die Landschaft hinein, blicke ich ihm nach. Dann verschwindet er am Horizont und ich ahne, dass er bereits im Himmel ist.

Heute schon geträumt?

Ein verstimmter Magen ist grundsätzlich unangenehm. Hinzu kommt, dass der Schlaf, nach dem man sich sehnt, auch nicht immer die gewünschte Erleichterung bringt. Mir zumindest nicht, wenn ich an die letzten Tage denken. Was mir auf den Magen schlug, lässt sich mit Sicherheit nicht genau feststellen. Dass der Ärger der letzten Zeit damit zu tun hatte, will ich nicht ausschließen, genauso wenig wie meine Vorliebe für Eisgekühltes, das ich nicht besonders gut vertrage.

 

Ärger hatte ich einigen. Nicht, dass er sich an mir entlud. Vielmehr war es ein Ärgern über Weltanschauungen, die mit der eigenen nicht in Einklang zu bringen war. Trotz allen Bemühens, gerade weil das Verstehen Wollen ein wichtiger Aspekt meiner Weltsicht ist. Also ärgerte ich mich maßlos, hauptsächlich über mich selbst.

 

Das zur Vorgeschichte. Der beleidigte Magen bescherte mir darauf folgend einige alptraumhafte Nächte. Wenig Schlaf, dafür seltsam bedrückende Träume, die mich in den Tag hinein verfolgten. Einer davon beschäftigt mich besonders: ein traumloser Traum, eine Vorstellung von der Unmöglichkeit zu träumen. Damit meine ich nicht das Ausbleiben der REM-Phase. Vielmehr ging es um das Abhandenkommen der Vorstellungskraft. Nichts wurde erträumt, zwecklose Gedanken in Sinne der Nützlichkeit gab es nicht. Schlimm daran war, dass es nichts gab. Bis auf Gegebenheiten, die durch den naturgegebenen Wunsch nach Entwicklung, lediglich kontextuell umgedeutet wurden. Was zur Folge hatte, dass jegliche Substanz verloren ging, da es keine Zuweisung von Bedeutung gab. Denn die hätte man sich vorstellen müssen...so die Kurzfassung

 

Warum mich das so beschäftigt ist schnell erklärt. Ich denke, wir leben momentan in einer ziemlich traumfeindlichen Zeit. Das hat viele Gründe. Sicher liegt es daran, dass das Festhalten an großen Visionen schnell mit Fundamentalismus gleichgesetzt wird. Was daran liegt, dass große Träume/Visionen keine Anleitung mitliefern, wie sie sich in die Realität umsetzen lassen. Ideologien sprießen aus dem Boden und bieten unterschiedliche Handlungsspielräume an. Eine gemeinsame Ethik? Fehlanzeige. Denn selbst am Frieden für die Welt scheiden sich die Geister, ob seiner "Nützlichkeit".

 

Der Nutzen. Der Traumräuber schlechthin! In unserer traumfeindlichen Zeit bestimmt er über das Wohl und das Wollen! Hehre Ziele, die nicht unmittelbar nützen, werden, sofern sie nicht der Forschung und Entwicklung  dienen (also wieder nützen), als Spinnerei deklassiert. Sich damit zu beschäftigen wirkt einfältig, hedonistisch, obsessiv und endet mit einem pathologischen Befund. Nicht normal. Also krank. Und hoffentlich nicht ansteckend. Dabei ist gerade unsere Vorstellungskraft, also das Erdenken von dem, was nicht da ist, die Fähigkeit, die uns zu Menschen macht. Die Grundlage für alles, was durch uns Bedeutung zugewiesen bekam, der Ursprung von Entwicklung.

 

Mein traumloser Traum war ein Alptraum. Zu bemerken, wie wir heute noch mit dieser unserer Fähigkeit umgehen, ist nicht weniger erschreckend. Ich träume davon, dass wir unseren Träumen mehr Beachtung schenken. Ihnen nachgehen und selbst wenn uns das nicht nützlich erscheint, nicht jene dafür verurteilen, die es tun wollen. 

Ohne Körper bist du niemand

Nach dem Gespräch über Schönheit, am Nachhauseweg von Radio Helsinki, stand ich wie erwartet im Stau. Was nicht schlimm ist, wenn man die Zeit, die man versteht, zum nachdenken nutzt. Ich bin also das Gespräch nochmal gedanklich durchgegangen, war zufrieden über das, was ich über Schönheit zu sagen wusste und stieß dabei, eher zufällig, auf ein Wort, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht: Körperverachtung

 

Wir sprachen darüber, ohne es auszusprechen und je länger ich jetzt den Begriff mit alltäglichen Situationen in Übereinstimmung bringe, umso unwohler fühle ich mich in meiner weiblichen Haut. 

 

Nichts bereitet soviel Scham wie die weibliche Scham. Während pubertierende Jungs noch voller Stolz Kreidepenise auf die Tafel kritzeln, käme kein Mädchen auf die Idee, es den Jungs gleich zu tun, indem es ebenfalls ihr Geschlecht der Öffentlichkeit zumindest skizzenhaft präsentiert. Falls ein Junge den Mut fasst und sich an die Darstellung des weichlichen Geschlechts wagt - wir sprechen noch immer von der Vagina und nicht von Brüsten - wird nicht geschmunzelt, wie über Kreidepenise, die fast zum schulischen Alltag gehören. Eine Scheide am hellichten Tag geht den meisten Erwachsenen dann doch zu weit. Oder zu tief. Also schnell wisch und weg damit, auch mit der Schamesröte, die das Zusammenstoßen von Schwamm und Vagina, im Gesicht hinterlassen hat.

 

Brüste habe ich bereits angesprochen. Brüste! Der Traum vieler Männer, solange sie nicht alltäglich werden. Eine stillende Mutter erregt Aufsehen, obwohl der Großteil dessen, was die Sittenwächter auf Facebook in Nippelalarmbereitschaft versetzt, im gierigen Mund des Kindes verschwindet. Eigentlich sieht man nichts und trotzdem will man nicht daran denken, dass ein Kind gerade das tut, was man selbst, vielleicht zu späterer Stunde, gerne tun würde. 

 

Und wieder Brüste. Diesmal im Freibad und ganz ohne Scham. B-Cup, denke ich. Und ziemlich unverhältnismäßig in Anbetracht des prallen Bauchs, der weit über die gut behaarten Brüste hinwegragt. Ich betrachte die mollige Frau daneben. Sie trägt eine Tunika und ich wünschte, die beiden könnten ihre Outfits tauschen. Noch im Gedanken bemerke ich, dass etwas in meiner Badetasche fehlt. Das Bikinioberteil meiner kleinen Tochter. Egal. Oder doch nicht. Ich erinnere mich an die Worte einer Freundin, die letztens meinte, die Mädchen wären jetzt schon in dem Alter. Ich frage mich, worin sich die flache Brust meiner Tochter, von denen ihrer Spielkameraden unterscheidet. Außer, dass sie zu einem Mädchen gehört. Kein Oberteil also. Ihr ist es egal. Ich habe ein seltsames Gefühl, gerade so, als würde ich das Mädchen, meine Tochter, zur Schau stellen. Weil ich ahne, was gerne gesehen wird...

 

Naive Sexyness. Körperliche Attraktivität, von der Frau am besten nichts ahnt. Das Wissen darum könnte Selbstbestimmung zur Folge haben. Und die gilt es zu unterbinden, will man Frauen an bestehende Rollen binden.

 

Ich frage mich, ob die Verachtung des weiblichen Körpers, damit meine ich die Reduzierung auf Lustgewinn indem alles Alltägliche hinter Stillzimmertüren, Bikinioberteile oder Tunikas verschwinden muss, nicht dazu führt, dass wir Frauen immer noch großteils NOBODYs sind? Unsere Körper sind nichts SELBST VERSTÄNDLICHES, also uns zugehörig und eigen. Noch immer ist der weibliche Körper Projektionsfläche für das Außen. Was dazu führt, dass wir die Oberfläche schön poliert halten, damit sich die Mode, die Schönheitsindustrie, die Gesellschaft mit ihren "Moralvorstellungen" und natürlich auch das andere Geschlecht darin spiegeln können. Ich frage mich, was sich ändern würde, wären wir Frauen uns dessen stärker bewusst. Ich frage mich, was anders wäre, würden wir selbstverständlicher und selbstbestimmter mit unseren Körpern umgehen.

 

Kerstin Feirer

Franz Josef-Straße 23   8200 Gleisdorf   Österreich